Speicherstadt Hamburg
Ihren Schlussstein setzte Kaiser Wilhelm II höchstpersönlich, seit dem Jahr 1991 steht sie unter Denkmalschutz und schon bald gehört sie vielleicht zum Weltkulturerbe: Die Speicherstadt war Hamburgs geniale Antwort auf die Abschaffung der Zollfreiheit.
Tatsächlich ist die Speicherstadt der größte zusammenhängende Block von Lagerhäusern der Welt: Angesiedelt auf dem Gebiet der einstigen Elbinseln Kehrwieder und Wandrahm erstreckt sich das berühmte Aushängeschild der Hansestadt auf einer Länge von etwa 1,5 Kilometern entlang des nordöstlichen Hamburger Hafens. Nicht nur das größte Orientteppichlager der Welt findet man hier und jede Menge hochwertige Elektronik. Mit Kaffee, Kakao, Tee und Tabak werden hier auch heute noch die klassischen Luxusgüter aus Übersee gelagert und teilweise weiterverarbeitet. So nordisch rau die Hafen-Geschäfte waren, so zauberhaft ist deren Kulisse: wilhelminische Backsteingotik soweit das Auge reicht, verspielte Türme, Giebel und Erker, die sich im träge plätschernden Wasser der zahlreichen Fleete spiegeln, sorgen für Hafenromantik pur.
Fleete, das sind übrigens natürliche Wasserläufe, die in die Elbe oder einen ihrer Nebenflüsse münden: Allein die Speicherstadt wird von sechs dieser typischen Hamburger Wasserstraßen durchzogen: dem Kehrwiederfleet, dem Brooksfleet, dem Kleinen Fleet, dem St. Annen Fleet, dem Holländischbrookfleet und dem Wandrahmfleet. Anfangs dienten die Fleete sowohl der Wasserversorgung als auch der Abfallentsorgung. Hamburg war eine wohlhabende Stadt und deshalb konnte der so genannte Fleetenkieker bei Ebbe im Schlick noch manches, allzu schnell entsorgte Kleinod entdecken. Zu größerem Ruhm gelangten die schmalen Wasserstraßen allerdings als Transportwege zwischen den im Hafen umgeschlagenen Handelsgütern und den Lager- und Wohnhäusern in Richtung Innenstadt. Viele Fleete leben heute übrigens nur noch als Straßennahmen weiter: Trümmerschutt machte nach 1945 die einstigen Wasserstraßen zu trockenen Fußwegen.
Eingebettet zwischen dem Altstadtkern im Norden und dem ehemaligen Hafenbereich im Süden, der sich als HafenCity-Quartier gerade zu einem hochmodernen Wohn- und Geschäftsviertel mausert, erlebt man rund um die Speicherstadt nicht nur baugeschichtliche Kontraste. Vorbei am Sandtorkai, Brooktorkai und der Oberbaumbrücke schreitet man zum Beispiel entlang der alten Befestigungsanlage, deren vorgelagerter Stadtgraben in drei Hafenbecken umfunktioniert wurde, dem Sandtorhafen, Brooktorhafen und Ericusgraben ihrerseits heute längst historische Attraktionen.
Bis zum Ende des 19. Jahrhundert war das Gebiet zwischen Zollkanal und Sandtorhafen noch ein ganz normales Wohnviertel, in dem vorwiegend Hafenarbeiter und Handwerker zu Hause waren. Doch dann drückte Bismarck mit Macht aufs wirtschaftliche Gaspedal und erzwang im Jahr 1888 den hansestädtischen Zollanschluss. Bis dato hatte Hamburg nämlich einen Sonderstatus innegehabt, der Zollfreiheit für sämtliche innerhalb der Stadt gelagerten und weiterverarbeiteten Waren garantierte. Nun blieb nur noch das Freihafengebiet zollfrei und so lag der Entschluss nahe, ebendort Lagerhäuser zu errichten, und zwar möglichst viele. Nicht weniger als 20.000 Menschen mussten des Umbaus wegen umgesiedelt werden, doch die Hanseaten langten tüchtig hin und so konnte die Speicherstadt bereits im Jahr 1888 eingeweiht werden.
Zusammen mit dem Naumburger Dom ist die Speicherstadt übrigens der aktuelle deutsche Vorschlag für einen Eintrag als UNESCO-Weltkulturerbe. Ob es klappt? Das Bauwerk in Naumburg ist schließlich doch ein paar Jahrhunderte älter als Hamburgs charmantes Hafengelände. Es bleibt also spannend, doch wie man den Hanseaten kennt, trüge dieser auch ein Nachsehen mit nobler Gelassenheit.